Aschenputtels Mutter - oder warum es nicht jedeR zum Ball schafft...

Letztes Jahr fand der Kasseler Grimm-Forscher Prof. Holger Ehrhardt heraus, von wem die Brüder Grimm ihr Aschenputtel-Motiv ursprünglich bezogen hatten. Die literaturhistorische Entdeckung barg eigentlich eine kleine Überraschung: Elisabeth Schellenberg, die "Mutter" des Märchens von der Küchenmagd, die gemobbt von der eigenen Patchwork-Familie zur Prinzessin avanciert, endete selbst in dem Marburger Armenhospital St. Jost. Hatte die bereits in verarmte Verhältnisse hineingeborene Schellenberg nichts von ihrer Märchenfigur gelernt? Wo war ihr Prinz, ihr sozialer Aufstieg? Warum hatte sie es selbst nie zum Ball ins Schloss geschafft? Ist am Ende die Moral der Geschichte trügerisch? Was, wenn sich keine magischen Tauben zur Hilfe einstellen, keine goldenen Schuhe vorhanden sind und kein Prinz nach einem sucht? Ist es nicht Aschenputtel selbst, die sich von der Abhängigkeit der Stiefmutter in die des Prinzen begibt?

Vielleicht erlaubt uns das Wissen um die finanzielle Misere der Schellenberg auch einen frischen Blick auf ihre Heldin: Anders als in der bereits 1634/36 veröffentlichten italienischen Aschenputtelversion von Giambattista Basile, kommt die grimmsche Märchengestalt schuldlos in eine soziale Notlage. Verwaist und von der Stiefmutter gepeinigt, wendet sie sich höheren Mächten zu. In ihrer festgefahrenen Situation kann nur mehr ein Wunder helfen: erst die Tauben und der Wunderbaum auf dem Grab der verstorbenen Mutter, später auch der Prinz, ermöglichen den Aufstieg aus der Asche. Aber was ist Aschenputtels eigener Anteil? Sie hält durch! Drei Mal geht sie zum Ball. Sie erträgt alle Untergriffe der Stiefmutter - ohne dabei ganz die Hoffnung zu verlieren. Sie ist bereit!

Aschenputtel erzählt nicht nur vom Überwinden der eigenen Probleme, sondern vor allem von der Hoffnung darauf. Vielleicht war dies die eigentliche Botschaft der Schellenberg: Wunder sind zwar unwahrscheinlich, aber wenn sie kommen: BE READY!!! So gesehen wäre Aschenputtel ein Märchen zum Durchhalten und Hoffen. Elisabeth Schellenberg erzählte ihre Version im Alter von 64 Jahren und im vollen Bewusstsein, dass sich ihr Prinz nicht mehr einstellen würde. Trotzdem wählte sie diese Geschichte voller Hoffnung auf Rettung. War dies ihr Geheimnis, um mit dem Elend der Welt fertig zu werden? Ein schöner Gedanke wie ich finde... oder ist er bloß Ausdruck einer Welt, die längst resigniert hat?

Lernen wir vom Aschenputtel und seiner "Mutter" Geduld und Hoffnung oder sollten wir doch lieber die Dinge selbst in die Hand nehmen? Die Einladung zum Ball kommt vielleicht nicht für alle von uns. Und wenn unsere große Chance doch kommen sollte - rein in den goldenen Schuh und ab ins Schloss... aber wenn nicht, holen wir doch die Brecheisen raus und verschaffen uns Eintritt, auch ohne goldene Schuhe!!!

 

In diesem Sinne: eine rauschende Ballsaison 2017!